Kerstin: „Raus aus der Angst“

Krebs zog sich wie ein roter Faden durch meine Familie. Auf beiden Seiten sind früh sowohl Männer als auch Frauen an ganz unterschiedlichen Krebsarten erkrankt und manche von ihnen früh an diesen Erkrankungen verstorben. Mein Vater verlor seine Mutter mit 17 an die Folgen ihrer Eierstockkrebserkrankung. Mit Ende 20 verlor er erst seinen Vater an Krebs, kurz darauf auch seine Schwester. Als seine Schwester starb, war sie gerade einmal 30 Jahre alt.

Da meine Großeltern und meine Tante so früh verstorben sind, kannte ich sie nicht. Als ich aufwuchs, vermisste ich sie nicht auf die Art, wie man geliebte Menschen die einem Nahe standen, vermisst. Aber ich spürte ihr Fehlen in der Familie sehr stark. In meiner Familie war das Loch, die Leere, die sie mit ihrem frühen Tod hinterlassen hatten, die vielen ungelebten gemeinsamen Momente einfach da.

Bei einem Frauenarztwechsel wurde die Familiengeschichte abgefragt. Und bei den vielen Krebserkrankungen meiner Verwandten wurde mein Arzt hellhörig. Relativ unbedarft ließ ich mich testen. Ein Test-Panel mit 25 bekannten Mutationen, die Krebserkrankungen verursachen, wurde geprüft. Jackpot. BRCA 1 positiv. Das Ergebnis warf mich total aus der Bahn.  Mit 28 schwarz auf weiß zu sehen, dass man eine Wahrscheinlichkeit zwischen 40-60 % hat an Eierstockkrebs zu erkranken oder 60-80% an Brustkrebs, muss erst einmal verdaut werden.

Direkt im Gespräch mit dem Genetiker wurde über die Möglichkeit prophylaktischer OPs gesprochen. Das erschien mir aber viel zu krass. Gesunde Organe entfernen, wer kommt auf so eine Schnapsidee. Also erstmal zur intensivierten Früherkennung. Die vielen Arzttermine, der Stress vor dem MRT und das Warten auf den Befund. Ich fühlte mich bald, als wäre ich schon krank. Und jedes mal die Frage: Haben sie diesmal Krebs gefunden?

Also begann ich, mich doch mit den prophylaktischen Operationen auseinander zu setzen. Kein Problem, mir würde eine schöne Brust gezaubert werden. Aber alle Bilder, die ich sah, waren weit entfernt vom Aussehen meiner eigenen Brust. Im Austausch mit anderen Frauen überwog ein Eindruck: Brustaufbau birgt Komplikationen. Also fragte ich mich, geht es nicht auch ohne? Immerhin mache ich das, um mich, meinen Körper, ja auch meine Familie vor einer weiteren Krebserkrankung und der damit verbundenen Belastung zu schützen.

Durch Zufall stieß ich auf ein Buch aus den USA: „FLAT – reclaiming my Body from Breast Cancer“ geschrieben von Catherine Guthrie, die alle meine Zweifel und Fragen zum Thema Brustrekonstruktion bei Krebs schon hinter sich hatte. Ich fühlte mich verstanden und mir wurde klar: Das ist auch mein Weg. Die Gefahr bannen, mit möglichst wenigen Einschränkungen, Folge-OPs oder Komplikationen.

Nach der OP ging es mir quasi mit Lichtgeschwindigkeit besser. Meine Narben heilten, ich begann, wieder mein Leben zu leben. Unbeschwert und frei von Angst.

Foto: privat