Wir schreiben heute den letzten Tag des Jahres 2021 – seit mehr als 2 Monaten lebe ich nun mit einer Brust – die rechte Seite ist flach. Dahin war es ein langer Weg.
Den ersten Knoten unter der rechten Achsel spürte ich im Sommer 2012. Zum Arzt getraut habe ich mich erst im Herbst, es folgte die Diagnose hormonabhängiger Brustkrebs, teilweise (1 von 3 Knoten) sogar auch HER2-positiv. Okay, annehmen konnte ich die Tatsache durchaus in der mir eigenen pragmatischen Art und Weise – tun wir was jetzt zu tun ist und dann weiter im bekannten Leben in Beruf, Familie und Freizeit. Gemäß dem Rat der Ärzte lag das Tun in Chemotherapie und Mastektomie mit sofortigem Wiederaufbau mit Silikon – andere Varianten wurden nicht diskutiert und ich habe auch nicht nachgefragt. Okay dann mal los und dabei so viel wie möglich „normal“ leben. Für mich hat das bedeutet, sobald wie es ging ins Büro zu gehen und ganz freiwillig und stundenweise in meinem geliebten Beruf als Bauingenieur zu arbeiten. Das Beschäftigen mit den bekannten beruflichen Themen gab Halt und das Gefühl der Kontrolle. Die bereits vor der Diagnose gekauften Konzertkarten der Peter-Maffay-Konzerte sollten natürlich auch nicht wegen der Krankheit verfallen und so wurde das Ende der Chemo und die folgende OP an die Tourneetermine angepasst und ich stand tatsächlich nach erfolgreicher Chemo ein paar Tage vor der OP beim Konzert in der ersten Reihe – Glücksmomente pur. Dann die OP – kurz vorher wurde mir noch offenbart, dass ggf. die Brustwarze dran glauben muss – fand ich beunruhigend – dann würde „Man(n)“ ja sehen, dass ich krank war bzw. bin. Somit galt mein erster heimlicher Blick nach der OP unter den einzwängenden Brustwickel auch genau dieser Brustwarze – ah – die war noch da – da sieht keiner was und das Leben geht so weiter wie vorher – dachte ich zumindest. Rein optisch war das auch der Fall – perfekter Ausdruck dessen war die Frag eines Freundes wenige Wochen später beim Baden am See „Sag mal Antje, warst Du jetzt schon zu OP?“. Mein eigenes Körpergefühl war trotzdem gestört – Hatte jemand erwähnt, dass auf der Haut der Brust und unter der Achsel Null Gefühl da ist? Hatte Jemand erzählt, dass sich die Brust kalt anfühlt? War mir bekannt, dass die sexuelle Funktion zumindest für mich nun passe ist? – Ob das gesagt wurde und ich es nicht wahrgenommen habe oder es nie oder zumindest nicht in vollem Ausmaß zur Sprache kam, ist im Nachhinein egal – ein wahrnehmbarer Verlust war da. Ich habe es weitestgehend ignoriert und bin voll in mein neues, altes Leben gestartet – viel Arbeiten mit schönen Projekten, Zeit mit den Kindern verbringen und natürlich auch die Konzerte mit meinen Freunden. Die Antihormontherapie behinderte doch die eigenen Bewegungs- und Sportambitionen nach 2 Jahren so extrem – gefühlt war ich ne 80jährige Oma, dass ich die Tabletten abgesetzt habe. Ein halbes Jahr nach dem Abbruch der Therapie konnte ich wieder akzeptabel 5 km joggen und auch länger 2 h am Stück wandern – welch Gewinn. Da kann ich doch jetzt auch endlich wieder so wie in meiner Jugend mit Spaß in die Hochgebirge – dachte ich.
Vor dem Urlaub 2017 in die Hohe Tatra also noch schnell zur Nachsorgeuntersuchung und dann ab auf die Berge. Hm – im Ultraschall wurde ein auffälliger Knoten unter der Achsel gefunden, es folgte die übliche Biopsie. Das Ergebnis wollte ich vor dem Urlaub gar nicht mehr wissen und bin dann mit noch mehr Willen und auch Freude mit meiner Familie auf die Berge gestiegen – stopp – das stimmt nicht ganz, ich hatte durchaus Freude an der wiedergefundenen Bewegung bergauf und ab, meine Kinder (die waren da schon fast erwachsen) konnten dem auch etwas abgewinnen, für meinen Mann und dessen Freund ergab das „Hochrammeln“ auf die Gipfel nicht wirklich Sinn.
Die Aufarbeitung des Erlebten blieb erstmal aus – zurück zu Hause war klar, es ist ein Rezidiv – empfohlene Behandlung: OP, Chemo, Antikörpertherapie, Bestrahlung und Antihormontherapie. Bis auf Letzteres habe ich auch Alles brav absolviert und war im Frühjahr 2018 fertig damit. Das Silikonimplantat hat die Bestrahlung auch weitestgehend schadensfrei überstanden – eine Fibrose gab es nicht. Also weiter im „alten“ Leben – ach da war doch noch was – meine Bedürfnisse nach dem Großwerden der Kinder unterschieden sich deutlich von denen meines Mannes – das konnte ich spätestens feststellen, als ich eine sogenannte Bucket-Liste aufgestellt habe mit all den Dingen, die ich noch erleben und umsetzten will. Die Trennung war aus meiner Sicht unvermeidlich und das Universum hat mir irgendwie auch immer die Menschen ins Leben „gespült“ mit denen ich die Wünsche umsetzten konnte – nicht alle, aber viele und einige habe ich ganz freiwillig gestrichen, weil das tiefere Hinterfragen ein „Nein, doch nicht“ ergeben hat. Aber ich bin Halbmarathon gelaufen, hab unter freiem Himmel übernachtet, war in den Bergen, sogar klettern, hab das Reisen mit dem Fahrrad für mich entdeckt und habe viele neue Menschen kennengelernt, von denen ich ein paar heute meine Freunde nennen darf.
Bei jedem Kontrollbesuch beim Arzt musste ich in der Zeit einen Dialog zum Nichtwollen der Antihormontherapie führen, ansonsten gab es keine Auffälligkeiten bis Dezember 2018 – ich spürte eine Verdickung an der Narbe unter der rechten Achsel. Besorgt habe ich den Arzt befragt – der beruhigte mich mit der Aussage „Das ist nur die Vernarbung“. Also habe ich das Jahr 2019 mit Freude am Beruf, vielen Outdooraktivitäten und Konzertbesuchen verbracht – der Knubbel unter der Achsel wurde aber größer…und so kam es wie es kommen musste –beim MRT im Herbst 2019 wurde wieder ein Rezidiv gefunden – empfohlene Behandlung diesmal OP, Bestrahlung und Antihormontherapie. Jetzt habe ich alles gemacht – auch die Antihormontherapie begonnen. Vor der Bestrahlung wurde ich nun äußerst deutlich auf des hohe Risiko einer Kapselfibrose hingewiesen und die dann notwendige Amputation der Brust mit dem Implantat. Oje…in der Zeit habe ich zum ersten Mal auf Facebook Fotos von Frauen wahrgenommen, die sich nach Mastektomie selbstbewusst flach zeigen – na wenn die das können, kann ich das auch und so bin ich ohne große Angst vor den Folgen der Bestrahlung nach der OP in die Therapie gestartet, hab dabei voll gearbeitet und mein Leben drumrum mit Freude gelebt. Beendet war die Therapie im Frühjahr 2020 – das übliche Full-Power-Starten nach der Therapie blieb jedoch diesmal aus – für alle war Lockdown wegen Corona – also auch für mich – zum Glück – so konnte ich mal Innehalten und schauen, was mir so gut tut – seitdem habe ich kalt duschen, Eisbaden, den langen Wander-Fußweg zur Arbeit und sogar etwas Meditation in mein Leben integrieren können. Das sorgt für mehr Genuss im Moment und Entschleunigung im Alltag, den ich wohl brauche.
Ende 2020 entdeckte ich wieder eine Verhärtung an der nun ja noch längeren Narbe unter der Achsel – inzwischen war mein „alter“ Onkologe in Rente und der Neue beruhigte mich nach dem durchgeführten Ultraschall wieder mit den Worten „Das sind Narbenverhärtungen“. Angepasst an die coronabedingten Einschränkungen habe ich also das Leben so genossen wie es ist bzw. alles gemacht was eben ging – Skilaufen zur Arbeit, Radtouren im 15 km Radius um die Heimatstadt, Wanderungen, draußen sein, eine Rad-Etappentour ans Mittelmeer und dann einen Tag später…Krebsnachsorge, MRT, Auffälligkeiten, Biopsie – Rezidiv – wieder „nur“ im Bereich der rechten Brust – keine Metastasen irgendwo anders (was für ein Glück). Okay – dann jetzt endgültig Mastektomie – der Prof. im Brustzentrum war traurig, weil ja nun „sein“ schöner Aufbau weg muss – ich habe ihn getröstet – es war ja gut gemacht, aber eben nicht zielführend – ich möchte ohne Krebs leben – es macht doch so viel Freude. Die Frauen auf Facebook ohne Brüste hatte ich noch in Erinnerung – also gehöre ich dann eben dazu. Die Überlegung, wie vom Prof. erwähnt zukünftig eine Epithese zu tragen, erzeugt jedoch Bauchkrummeln. Ich bin doch eine Frau, die weder Make-Up, noch viel Schmuck, noch sonst irgendwelches Beiwerk mag, ich vergesse doch schon ständig meine Brille, die ich zwingend inzwischen brauche, um die Buchstaben zu erkennen und da soll ich so ein Gummiteil IMMER bei mir haben? Dabei trage ich doch noch nicht mal gerne einen BH. Zum Glück habe ich zu diesem Zeitpunkt die Mädels von AMSOB gesucht und gefunden, da fühle ich mich mit meinem jetzigen Wunsch ungeschmückt zu leben und für alle sichtbar ohne Brustaufbau zu leben, gut aufgehoben und verstanden. Die OP war dann schon fast Routine und der schönste Moment für mich beim Aufwachen war der Gedanke „Ich bin ja noch ich und noch da“ – da hatte ich noch nicht mal das OP-Ergebnis im Spiegel gesehen.
Seitdem freu ich mich daran, dass das innere Körpergefühl, welches schon seit 2013 offensichtlich da war mit dem äußeren übereinstimmt, die rechte Seite des Brustkorbs sich wieder warm anfühlt und ich das T-Shirt wieder auf der Haut spüre. Natürlich gibt es auch Beeinträchtigungen durch die Bestrahlung und die vielen fehlenden Lymphknoten und ich werde in den nächsten Monaten herausfinden, welche Aktivitäten damit gut gehen und welche nicht – EinBusen eben.
Heute, Ende 2021 darf Jeder-Man(n) die EinBusen meines Lebens sehen –der Weg dahin hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich wünsche mir für alle Frauen, die sich in Ihrem Leben mit der Diagnose auseinander setzten müssen, eine vorurteilsfreie Aufklärung über alle Behandlungsvarianten, so dass Jede für sich die passende Entscheidung selbstbewusst treffen kann – wenn ich ein Stück mit meiner Geschichte und meinem zukünftigen Tun beitragen kann, würde mich das sehr freuen.
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