Anett: “Wer braucht schon Brüste, wenn er dafür Lebenszeit geschenkt bekommt?”

Im Sommer 2018 mit 41 Jahren bekam ich die Diagnose Brustkrebs. Agressives, hormonabhängiges bösartiges Etwas, das sich da in meiner echten Brust breit machte.

Ich geschieden, mit einem neuen Partner und meinem 15 Jährigem Sohn auf dem Weg in ein neues Leben, wurde jäh gestoppt und aus der Bahn geworfen, sämtliche Pläne auf Eis oder gestrichen.

Du bekommst die Diagnose und gibt’s große Teile der Kontrolle ab und den Kalender gleich noch mit, so empfand ich das damals. Termine für Port setzen, Screening, Vorbesprechung beim Onkologen, Knochenszinti, Chemotermine, Kontrolle beim Kardiologen und im Brustzentrum waren auf einmal alltagsbestimmend. Arbeiten von jetzt auf gleich gestrichen. In einem Jahr wieder, war der Plan. Erst Therapie, dann Reha, dann schrittweise wieder anfangen.

Tja erstens kommt es anders als man zweitens denkt.

Aus einem Jahr wurde ein anderthalbes, aus einer Op wurden drei plus die Eierstockentfernung, weil ich BRCA1 Mutant bin. Zur normalen Nebenwirkung Glatze, kamen noch etliche dazu und ein Lymphoedem hat sich gleich nach der ersten BET OP auch eingenistet. Arbeiten rückte erst in weite Ferne, dann wurde die Arzthelferin gestrichen, dann das Gesundheitswesen, inzwischen bin ich Erwerbsminderungsrentner.

Klingt alles ziemlich frustrierend und entmutigend, oder? War es zu Anfang auch, aber man kann aus jedem Sch…. auch was Neues machen!

Ich habe ab Diagnose ganz tolle neue Menschen kennen gelernt, ich arbeite inzwischen im Ehrenamt in der Online Selbsthilfe, ich schreibe meinen Blog „Horst muss sterben“, ich bin virtuelle Assistentin und habe eine Ausbildung zum Psychoonkologischen Begleiter und zum Meditationsleiter gemacht. Alles neue Aufgaben, die mir Spaß machen und die ich meinem Zustand entsprechend stundenweise ausüben und einteilen kann. Dinge, an die ich vor der Diagnose nicht im Traum gedacht hätte.

Und ich bin seit Sommer 2019 flach und glücklich damit. Hanni und Nanni, die Epithesen, fristen ihr Dasein im Schrank. Eine Entscheidung, die ich bisher nie bereut habe. Im Gegenteil! Ich durfte an zwei Fotoshootings teilnehmen und ganz offen zeigen, was flach bedeutet.

Flach ist schön! Flach ist mutig! Flach ist 100% Leben. Wer braucht schon Brüste, wenn er dafür Lebenszeit geschenkt bekommt? Für Ärzte und Umfeld schwierig zu verstehen und noch schwerer sich selbst zu informieren. Ohne Gleichgesinnte aus dem Internet wäre es mir nicht möglich gewesen mein Bauchgefühl mit Fakten zu untermauern.

Heute 2021 zwei Jahre nach der OP fühle ich mich schön und weiblich, trage was mir gefällt und nehme als „Flat Sister“ kein Blatt vor den Mund. Alle dürfen und sollen sehen, das eine Mastektomie ohne Aufbau eine gleichwertige Behandlungsoption ist!

Brustlosigkeit als Alternative
Foto: Recover your smile