Kerstin: Mein Glas ist halb voll und nicht halb leer!

Im Sommer 2020 bekam ich aus heiterem Himmel die Diagnose Brustkrebs. Und das nach gerade erst erfolgter Mammografie und Ultraschall, beides ohne Befund. Aber da war diese Einziehung auf der rechten Brust …

Vorsichtshalber schickte mich meine Gynäkologin ins örtliche Brustzentrum, wo dann Biopsien an 2 verschiedenen Stellen gemacht wurden, obwohl auch hier auf dem Ultraschall nicht wirklich etwas Bösartiges zu sehen war. Für das Ergebnis hatte ich keinen Termin vor Ort gemacht, dass alles in Ordnung ist, konnte man mir ja auch eben per Telefon sagen … So dachte ich. Der Anruf der Ärztin kam 3 Tage nach der Biopsie: „Ich habe leider keine guten Nachrichten. Das Ergebnis der Biopsien war in beiden Fällen bösartig.“ Dieser Anruf zog mir den Boden unter den Füßen weg …

Ich rutschte in den Strudel von Arztterminen und Untersuchungen: MRT, Mamma MRT, Onko Type … Nach 10 Tagen stand fest: erst OP, dann evtl. Chemo, dann Bestrahlung. Okay, dachte ich, wenn das Innenleben meiner Brust nicht zu retten sein sollte, dann eben sofort ein Implantat. Die Antwort der Ärztinnen war niederschmetternd: „Wir können ihre Brust nicht erhalten, auch ein Implantat ist nicht möglich, der Krebs liegt zu dicht unter der Haut, der Tumor ist zu groß, die Brustdrüsen sitzen voller Krebsherde … Aber in ca. 6 Monaten können sie einen Wiederaufbau machen lassen, wenn sie das möchten.“ 6 Monate!

3 Tage nach dem Arztgespräch (und 13 Tage nach der Diagnose) erfolgte die OP. Komplette Amputation, geblieben ist von meiner Brust nur noch eine 18 cm lange Narbe. Sonst nichts. Zeit nachzudenken oder irgendetwas mit zu entscheiden, blieb mir da nicht. Der erste Blick in den Spiegel war ein Schock! „Das gehört so nicht und das habe ich so auch nicht gewollt!!!“ Aber die Entscheidung hierzu ist mir abgenommen worden von Ärzten, die mein Leben retten wollten. Heute bin ich sehr dankbar dafür.

Vor der OP – und auch in den ersten Tagen danach – war für mich klar, dass ich einen Wiederaufbau möchte. Mit nur einer Brust zu leben, kam für mich überhaupt nicht in Frage. Im Laufe der nächsten Wochen kamen mir jedoch erste Zweifel: Ich hatte mich an meinen Anblick im Spiegel relativ schnell gewöhnt und fragte mich: „Wozu eigentlich einen Wiederaufbau? Willst du dich wirklich mehrfach unter´s Messer legen und die ganzen Schmerzen nochmal auf dich nehmen? Und alles für eine Brust, die nicht mehr deine eigene ist?“ Die Frage nach dem Wofür konnte ich mir irgendwie nicht mehr beantworten. Mein Mann, meine Kinder und meine beste Freundin haben mich in dieser schwierigen Zeit immer unterstützt und mir die Rückendeckung gegeben, die ich für meine Genesung und für die anstehende Entscheidung brauchte. Auch von Seiten der Ärzte wurde ich in dieser Frage nie zu irgendwas gedrängt. Jede Frau sollte frei sein zu entscheiden, was für sie der richtige Weg ist und wie sie sich in ihrem eigenen Körper wohl fühlt. Ob Wiederaufbau oder nicht, da gibt es kein richtig oder falsch …

Inzwischen lebe ich seit über 2 Jahren mit nur einer Brust, die mir übrigens jetzt ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Und ich lebe gut damit! Ja, ab und zu habe ich auch mal einen schlechten Tag, aber ich weiß, dass der nächste wieder gut ist und dass es von den guten Tagen viel, viel mehr gibt als von den schlechten! Einen Wiederaufbau habe ich bis heute nicht machen lassen und auch in nächster Zukunft nicht vor. Ich bin mit mir und meinem Körper im Reinen. Die Narbe und die fehlende Brust sind Teil meiner Geschichte und gehören zu mir. Sie haben mich auch ein Stück weit zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Die Amputation war der Preis, den ich an das Leben bezahlt habe, ein ausgesprochen schönes Leben übrigens.

Aber die Narben sind nicht nur Zeichen für eine schlimme Krankheit. Nein, sie erinnern mich auch immer daran, dass ich sehr viel Glück hatte. Ich habe die Krankheit überlebt und es geht mir gut! Mein Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll!!! Ich freue mich auf alles Schöne, was das Leben noch so für mich bereithält. Und ganz egal, ob ihr mit zwei Brüsten, einbusig oder brustlos durch die Weltgeschichte tanzt, entscheidend ist, DASS ihr tanzt!!! Genießt das Leben!

Foto: Privat